Ukrainerin informiert sich auf einer Jobmesse

Geflüchtete aus der Ukraine und der Arbeitsmarkt

Suche nach dem "Job-Turbo": Mit niedrigeren Hürden zu mehr Arbeitskräften

Stand

Es ist ein großes Thema: Wie schafft es die Politik, Geflüchteten schneller zu einem Job zu verhelfen. Eine ausgeprägte Bürokratie verhindert oft eine Integration in den Arbeitsmarkt. Verantwortliche suchen nach dem Königsweg.

Die Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt sorgte in Baden-Württemberg zuletzt für Diskussionen. Zu viele Geflüchtete kämen ins Land, die Verantwortlichen in den baden-württembergischen Kommunen fühlen sich finanziell und organisatorisch überfordert. Erst jüngst wendeten sich Bürgermeister aus dem Kreis Reutlingen an die Bundes- und Landespolitik. Die Kapazitätsgrenze bei der Aufnahme von Geflüchteten sei erreicht, man erwarte von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) deutlich mehr Hilfe.

Zahlen belegen: Integration läuft zu schleppend

Die Probleme sind offensichtlich, die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Deutschland hat seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 mehr als eine Million ukrainische Geflüchtete aufgenommen. Von diesen sind nach Angaben der Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, gerade einmal 19 Prozent in Beschäftigung. In Baden-Württemberg gelten, nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, gut zwei Drittel der hierher geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer ab 15 Jahren, die Bürgergeld beziehen, als grundsätzlich erwerbsfähig. Darunter waren im Juni 2023 rund 21.000 Männer und mehr als 45.000 Frauen. Bei letzteren dürfte hinzukommen, dass viele ihre Kinder kriegsbedingt allein betreuen müssen.

Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sind in den Niederlanden 70 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Arbeit. An zweiter Stelle steht Polen mit 66 Prozent.

BW-Sozialminister Lucha: Geflüchtete schnell in Arbeit bringen

Das Thema treibt auch Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) um. Statt Migration nur auf "Belastungen" zu reduzieren, solle man deutlich machen, dass sie "auch eine Bereicherung ist", so Lucha. Er verwies auf "viele Tausend Menschen, die hier Fuß fassen konnten und ein wichtiger Bestandteil dieser Gesellschaft sind". Wichtig sei eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt: "Wenn wir die Menschen, die jetzt da sind, schnell in Arbeit bringen, dann bekommen wir etwa eine Entlastung beim großen Mangel an Arbeits- und Fachkräften."

Jüngst plädierte der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Joachim Walter (CDU), in einem Interview mit dem SWR, den Geflüchteten weniger finanzielle Anreize über das sogenannte Bürgergeld zu bieten. Stattdessen wäre ein Umschwenken auf Sachleistungen, beispielsweise eine Bezahlkarte, sinnvoll.

Transferleistungen: Walter gibt im SWR ein Rechenbeispiel

Walter sagte im SWR bezüglich der finanziellen Transferleistungen für aus der Ukraine Geflüchtete: "Eine vierköpfige Familie bekommt: Haushaltsvorstand 563 Euro, Regelsatz Ehegatte 506 Euro - wohlgemerkt ab dem 1.1. mit dem neuen Bürgergeld -, Kind (14 Jahre) 471 Euro, Kind (12 Jahre) 390 Euro. Das sind 1.930 Euro. Dazu kommen die Kosten für die Miete. Das sind die Mieten, die wir zahlen: 90 Quadratmeter in Tübingen 959 Euro kalt, Heizkosten 129,60 Euro, Betriebskosten 195,30 Euro. Das sind zusammen 1.283,90 Euro", so Walter. "Für eine vergleichbare Familie, die das selbst verdienen muss, müsste diese ein Nettogehalt von zwischen 3.200 Euro - es kommen ja noch weitere Leistungen, Bildungs- und Teilhabepaket und so weiter dazu - bis 3.500 Euro nach Hause bringen. Da ist natürlich kein Anreiz da, in Arbeit zu gehen."

Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zeigte sich vor kurzem offen für Sachleistungen und bargeldlose Zuwendungen für Geflüchtete. "Wir müssen falsche Anreizfaktoren natürlich eindämmen und deswegen stehe ich einer Geldkarte sehr offen gegenüber", sagte Kretschmann.

Das komplette Gespräch (29.9.2023) mit dem Präsidenten des Landkreistags Baden-Württemberg, Joachim Walter (CDU), zum Anschauen:

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Ausgeprägte Bürokratie behindert schnelle Integration

Generell, und hier sind sich die meisten Expertinnen und Experten einig, verhindert in Deutschland und auch in Baden-Württemberg eine große Regulierungsflut, dass Geflüchtete aus der Ukraine schnell in den hiesigen Arbeitsmarkt integriert werden können. "Wir sind überreguliert. An Händen und Füßen gefesselt gehen wir in einen Hürdenlauf", machte Walter im SWR-Gespräch deutlich. So werde die Integration von Geflüchteten deutlich erschwert. Weniger Vorschriften würden bei der Flüchtlingskrise helfen, so Walter.

Wie sehr Vorschriften und Regeln die tägliche Arbeit mit ukrainischen Geflüchteten erschweren, zeigte sich unlängst auch bei einer Jobmesse in Heilbronn und Dettingen an der Erms (Kreis Reutlingen). Dort wurde versucht, zwischen Geflüchteten und Arbeitgebern zu vermitteln. Im Laufe der Veranstaltung wurde deutlich, dass die Strategie, Geflüchtete in einem ersten Schritt möglichst umfassend auszubilden, sich als Hemmschuh erweist. Die hohen Anforderungen in Bezug auf Sprachkenntnisse und Job-Qualifikationen erschweren Geflüchteten den schnellen Zugang auf den Arbeitsmarkt.

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Neues "Turbo-Programm" von Bundesarbeitsminister Heil

Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Vor wenigen Tagen hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, mit einem "Turbo-Programm" Geflüchteten schneller einen Job zu vermitteln. Schwerpunktmäßig sollen dabei geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer aber auch Menschen aus anderen Ländern zügig in Arbeit kommen. Es gehe dabei, so Heil, um ein Potenzial von rund 400.000 Menschen, "die derzeit im Bürgergeld sind und bereits Sprachkenntnisse erworben haben." "Diese Menschen wollen und werden wir schneller von der Schulbank der Integrationskurse an den Arbeitsplatz bringen."

Mit Hilfe des neuen Sonderbeauftragen Daniel Terzenbach sollen die Arbeitsagenturen auf die neue Aufgabe vorbereitet werden, Gespräche mit Wirtschaftsvertretern intensiviert werden. Zentrale Punkte des neuen Programms von Minister Heil sind die "intensive Betreuung" der Menschen durch die Jobcenter und das "Ermitteln der Qualifikationen" sowie die Unterbreitung von Arbeitsangeboten. Zudem setze man, so Heil, "auf Arbeitgeber, die auch Geflüchteten eine Chance geben, die noch nicht perfekt Deutsch sprechen."

Arbeitsvermittlung für Geflüchtete: Darum geht es bei Heils Programm

Heils "Turbo-Programm" hat mehrere Säulen: Jobcenter sollen mit den in Frage kommenden Arbeitssuchenden deutlich enger kooperieren und stärker kommunizieren. Hierbei soll auch deutlich werden, dass Geflüchtete sich schnell um eine Arbeitsstelle bemühen sollen, ansonsten drohten Kürzungen beim Bürgergeld. Ferner sollen Unternehmen motiviert werden, Bewerberinnen und Bewerber auch ohne perfekte Deutschkenntnisse einzustellen. Zuletzt geht es um die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Wichtig seien zudem deutlich mehr Angebote für die Kinderbetreuung.

Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bewertet in der "Wirtschaftswoche" das Programm der Bundesregierung positiv. Für Brücker entsteht so Beschleunigung. Er rechnet damit, dass die Erwerbstätigenquote unter den geflüchteten Ukrainern bis Ende 2023 auf 26 bis 28 Prozent steige.

Zu hohe Ansprüche? Zu viel Bürokratie?

Wie schnell der Plan von Bundesarbeitsminister Heil greift, wird sich weisen. Noch kämpfen die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft bei der Integration von arbeitswilligen Geflüchteten mit vielen Hürden. So sind laut Walter die hohen Ansprüche an die Geflüchteten schlichtweg hinderlich. Man erwarte, so Walter im SWR, dass die Menschen perfekt Deutsch sprechen, bevor sie in einen Betrieb kommen. Man tue sich schwer, ausländische Abschlüsse anzuerkennen.

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SWR